Wenn der Münchner Stadtrat eine Anfrage mit dem Titel „Beleuchtungskampagne für Radlfahrer in München starten!“ an das KVR und die Polizei stellt, kann die Antwort für einen radverkehrspolitisch Aktiven nur interessant werden.

Zuerst einmal ein herzliches Dankeschön an das Portal München-Transparent, das endlich ein zeitgemäße Oberfläche für schnellen Zugang zu Stadtratsdokumenten anbietet, während das alte System noch im alten Jahrtausend verharrt. Erst so stieß ich auf den großen Fundus an Radverkehr(s/t)politik 🙂

Zusammengefasst hat sich der Antragsteller an einem Abend für fünfzehn Minuten in die Residenzstraße gestellt und hatte den Eindruck, dass „mindestens jedes 3. bis 4. Fahrrad unbeleuchtet“ ist und dass „die zuständigen Behörden in jedem Herbst eine gesonderte Aufklärungskampagne in der Öffentlichkeit fahren [sollten] und gleichzeitig den Kontrolldruck erheblich steigern, um diese unnötige Gefahrenquelle zu minimieren„.

Während sein Eindruck über die Anzahl der unbeleuchteten/fehlerhaft beleuchteten Räder von der Polizeistatistik bestätigt wird (Beleuchtungsverstöße: 31 %), ist die Bewertung dieses Verstoßes hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit ganz anders. In der Unfallstatistik ist die Beleuchtung aber nur für 1 % der Unfälle ursächlich. Also vernachlässigbar klein, im Gegensatz zum Geisterradler, der „nur kurz“ unterwegs ist. In der bundesweiten Zweirad-Unfallstatistik von 2013 (Tab. 1.11) ist die Beleuchtung nur zu 0,7 % ursächlich, Geisterradeln aber 22 %. Es besteht hier also eine deutliche Diskrepanz zwischen der Einschätzung der Gefährlichkeit und ihrer wahren Gefährlichkeit, wahrscheinlich auch beim Radler. Wer behelmt, mit Warnweste und Beleuchtung auf der linken Seite fährt, fährt leider auch da, wo einen Verkehrsteilnehmer noch weniger erwarten und die Chancen für einen Unfall stehen dann nicht schlecht.

Doch am Ende des Antwortschreibens kommt noch ein interessanter Punkt, der die Frage aufwirft, wie sicher ist eigentlich in München das Fahrradfahren? Also, statistisch, nicht gefühlt?

Seit 2011 weist auch die jährliche Unfalllage für das Stadtgebiet München rückläufige Zahlen auf. Von 2011 (2.509 Radfahrerunfälle) bis 2012 (2.480) kam es zu einem Rückgang um 1,2 % und von 2012 bis 2013 (2.389) konnten 3,7 % weniger Radfahrerunfälle verzeichnet werden.

Hmm, wie sieht denn die Statistik für den Radverkehrsanteil in München aus?

In München hat sich der Radverkehrsanteil von lausigen 14 % (2008) auf spektakuläre 17 % (2011) vervielfacht. 2002 waren es sogar nur miese 10 %. Leider gibt es keine aktuelleren, offiziellen Zahlen, der ADFC München liefert aber astronomische 18 % für 2013 und ich persönlich kann auch nicht von leergefegten Radwege und Straßen berichten (ganz im Gegenteil, zumindest bei schönem Wetter). Trotz (leicht) gestiegenem Radverkehrsanteil ging jedoch die Gesamtanzahl der Unfälle um knapp 5 % zurück, es wurde also sicherer für Münchens Radler. In der Literatur ist dieses Phänomen unter Safety In Numbers (Herdeneffekt) zu finden, hier als Beispiel Kopenhagen:

Between 1995 and 2006, cycling increased by 44% and the percent of people cycling to work increased from 31% to 36%. During the same period, the number of cyclists killed or seriously injured fell by 60%.

Demnächst kommt ja auch wieder diese ominöse Radlsaison, von der im Frühjahr die Zeitungen immer schreiben und die man auch in der Unfallstatistik gut erkennen kann (entnommen aus o.g. Unfallstatistik):

radlsaisonIn den ersten warmen Wochen im Frühling wird es daher sicherlich wieder die allseits beliebten und effektiven Schwerpunktkontrollen seitens der Polizei geben, bei denen auch die (fehlende) Beleuchtung eine Rolle spielen wird. Oder die fehlende Klingel, die eh keiner nicht richtig bedienen kann („Klingel doch!“ oder „KaI love my bikennst doch vorbei, was willste?!“). Oder meinen, dass Musikhören verboten ist – ist es natürlich nicht, solange das Gehör nicht beeinträchtigt wird. Und was beeinträchtigt es mehr, zwei Öhrstöpsel und Musik oder ein schalldichter, rollender Kasten mit dudelndem Radio?

Die Polizei und die Zeitungen schreiben dann sicherlich wieder, dass Radfahren gefährlich ist und beziehen sich auf einen bestimmten Zeitbereich ohne Berücksichtigung des gleichzeitig gestiegenen Radverkehrsanteils. Die gesamte Statistik spricht auf jeden Fall dagegen. Radfahren wird in München trotz mehr Radlern, die auch in Unfälle verwickelt werden könnten, sicherer. Hier ist sie wieder, die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Realität.

Bonuspunkte gibt es für diejenigen, die diesen langen Artikel gelesen haben, ihre Beleuchtung entschlossen abmontieren und zukünftig ohne Licht fahren, weil es ja statistisch keinen Unterschied macht, ob man tatsächlich nicht mehr gesehen wird oder beim Rechtsabbiegen „übersehen“ wird – trotz Licht, Klingel, Helm, heller Kleidung, Warnweste, Reflektoren, Herdeneffekt und gutem Gehör 😉

3 Meinungen zu “Die Statistik zum Sonntag

  1. Ich muss zugeben, dass ich auf meinem täglichen Weg zur Arbeit den Anfang auf der linken Seite fahre, weil ich sonst zweimal jeweils vier Spuren und die Tramschinen überqueren müsste (Zschokkestr).

    Wenn ich rechts fahre kommen mir auch oft Radler entgegen. Ich habe es noch nie als Problem betrachtet und etwarte es auch.

    Aber ich akzeptiere, dass die Statistik nie lügt. 😉

    1. Es gibt natürlich Abstufungen, was Geisterradeln anbelangt. Vom vorsichtigen Langsamfahrenden bis hin zum rasenden Vollpfosten. Gegen erstere habe ich persönlich auch nichts, wenn man durch Fehlplanungen im Städtebau sonst zu langen Umwegen gezwungen wird.

      Wer seine Fahrweise allerdings nicht anpasst und erwartet, dass andere Verkehrsteilnehmer einen schon bemerken werden, den erwischt die Statistik 😉

      Achja, es gibt immer mal wieder Spezialexperten, die auf einem Schutzstreifen/Radstreifen geisterradeln…

  2. Sehr interessanter und erhellender Beitrag.
    Ich ärgere mich jedes mal, wenn in der Zeitung wieder eine PR gegen alle Radler gefahren wird und dabei einfach nur dummes Zeug aus der Presseabteilung der Polizei nachgeplappert wird.
    Man sollte doch eher darauf hinweisen, dass mehr Radler gezwungenermaßen auch mehr Unfälle zeitigen. Anstatt hier mit den beschriebenen Apellen Schuldbewusstsein bei den Radlern zu erzeugen und alle in einen Topf zu werfen „Radlraudi“, sollte man lieber die Gefahrenstellen entschärfen.
    Und das im Sinne der Radler und nicht im Sinne der Autofahrer.
    Kleines Beispiel: An der Ecke Leopold / Petuelring wurde die Grün-Ampelschaltung für Radfahrer und Fußgänger extrem (mehr als die Hälfte) verkürzt. Vermutlich damit die Rechtsabbieger aus dem Tunnel nicht von Radlern überrascht werden, welche bei deren Rot-Phase nicht wartend davor standen.
    Ist sicher nicht ganz falsch, aber warum wird nicht die Grün-Phase der Autofahrer gekürzt, bzw. grundsätzlich eine weniger gefährliche Schaltung gewählt?

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