Shimanos magischer Zaubereimer oder wie wir lernten die hydraulische Scheibenbremse zu lieben

Der große Schrecken eines fast jeden Bikekitchen Helfers: ein magenta-farben funkelndes, mit Ultegra Gruppe und Aero Speichen bestücktes, 4.9kg schweres Carbon Cannondale rollt in die Werkbox: kein Druck mehr auf der Vorderradbremse. Scheibenbremse. Verzweifelte Blicke nach rechts und links: ist Jonny da? Hat jemand das blaue Entlüftungskit gesehen oder weiß sogar wie zum Kuckuck man es benutzt? Solche Blicke gehören ab sofort der Vergangenheit an!

Während in der Bikekitchen sehr selten Carbon Cannondales vorbeschauen kommen doch immer wieder Scheibenbremsen vorbei. Und seit letztem Dienstag, den 27. Juni, sind einige BK-Helfer:innen und einige Kursbesucher:innen bereit für die Zukunft. Paulina hat dabei einen wunderbaren Kurs zum Entlüften von hydraulischen Scheibenbremse von Shimano gegeben!

Ohne in technische Details abzuschweifen ist die schönste und einfachste Lösung die Schnellentlüftung von Shimano: wir stellen die Bremshebel waagrecht und entfernen die kleine Entlüftungsschraube. Und jetzt kommt die Magie ins Spiel: an den Platz der Schraube kommt ein kleines Eimerchen von Shimano, das wir mit rotem Mineralöl befüllen. Wir ziehen den im Eimerchen steckenden Stift heraus, sodass das Mineraöl von oben ins Bremssystem fließen und die überflüssige Luft entweichen kann. Dafür betätigen wir den Bremshebel mehrmals und drehen auch den Korpus des Bremshebels um seine Befestigung. Kleine Luftbläschen formen sich im Mineralöl im Becherchen – die Luft entweicht und wir durch Öl ersetzt! Wenn keine Bläschen mehr kommen entfernen wir den Becher und schrauben die Schraube wieder ein – et voilà, Bremse (schnell)entlüftet!

Das offene Kursangebot der Bikekitchen setzt sich im Juli und September fort mit folgenden spannenden Themen:

… wieder mal auf dem Zahnfleisch fahren …

Wieder war mal ein Antriebswechsel am Stadtfixie notwendig. Dabei war der letzte doch erst 2017?

Eine Herausforderung war, das alte Ritzel von der Nabe zu kriegen. Selbst eine Fahrt ohne Lockring mit Kontern hat nichts gebracht. Erst Brunox, beherztes Einspannen im Schraubstock, und Teamwork zu Dritt lockerte das störrische Ritzel. BK together strong 🚀

Diesmal wurde Kettenblatt, Kette und Ritzel statt auf 3/32″ auf noch breitere 1/8″ aufgerüstet, hoffentlich hält es dann noch länger als 5 Jahre.

Die Antreiber – Ma Ville à Velo 08 in Charleville-Mézières

Die Stadt Charleville-Mézières ist die Hauptstadt des französischen Ardennen-Departements, was die Ordnungsnummer 08 hat. Die Stadt liegt malerisch an der Maas, die hier einige Schleifen mäandert und wo einige Schleifen auch mit Schleusen kurzgeschlossen worden sind. Dieses Jahr war die Stadt auch Durchgangsort einer Etappe der Tour de France, die über die beeindruckende Place Ducale führte. In der Stadt merkt man wieder, dass die Verwaltung und Politik den Radverkehr ernst nimmt und sich um Stellplätze, Radwege und Wegweisung kümmert. Zwar noch nicht auf dem Niveau von Gent, aber deutlich über dem von Tournai.

Beispielsweise sieht man das an der Initiative Ma Ville à Velo 08. Die Fahrradwerkstatt mit Pausenraum und strategischem Planungssofa befindet sich direkt an einer Durchgangsstraße, wo man den Autofahrern im Stau stehen zugucken kann. Im Büro liegt der Bürgermeister auf der Schnellwahltaste, und es werden Ideen und Pläne zur Verbesserung des Fahrradfahrens bei Keksen, Kaffee und marokkanischem Minztee diskutiert. Die Initiative wird teils durch die Stadt, teils durch Mitgliedsbeiträge und Fahrradverkäufe finanziert.

Die Werkstatt hat wunderschön gestaltete Anleitungen zum richtigen Reparieren und Einstellen von Bremsen, Schaltung etc. Und natürlich einen Keller, der mit guten, gebrauchten und schrottigen Rädern gefüllt ist.

Selbstverständlich wurden im Rahmen des internationalen Botschafter-Programms der Fahrradselbsthilfe-Werkstätten zur Förderung der grenzüberschreitenden Solidarität und des quietschfreiens Fahrradverkehrs auch Sticker ausgetauscht.

Update: Die Freunde aus Charleville-Mézières haben einen kurzen Bericht mit französischer Übersetzung dieses Artikels verfasst. Vielleicht übersetzen sie auch noch dieses Update? Rekursion ad infinitum 🙂

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über europäische Fahrradselbsthilfe-Werkstätten.

Schrauben unter den Augen von Grand Jacques – Biciklo Tournai

Die Stadt Tournai ist deutlich kleiner als Gent oder Liège, und hier rumpelt man eher langsam über das unebene Kopfsteinpflaster, als bequem darüber zu rollen. Der Autoverkehr herrscht vor, während Radfahrer nur spärlich unterwegs sind.

Im Zentrum von Tournai befindet sich in einem Jugendzentrum das Veloatelier Biciklo, ein Wortspiel zwischen Bicycle und dem Dialekt-Wort Biklo (ausgesprochen bikluu). Jaja, ich musste auch erst an eine rollende Toilette denken…

Eine Besonderheit ist eine riesige Figur namens Grand Jacques, der bei bestimmten Festen durch die Stadt gefahren wird. Der Kopf von Jacques ist ungefähr so alt wie das Jugendzentrum, ca. 40 Jahre. Der Körper wurde erst kürzlich von den Jugendlichen neugebaut, da der ursprüngliche Körper irgendwann nicht mehr da war. Und unter dessen Augen werden regelmäßig Fahrräder repariert.

Auch wenn die Stadt bei weitem nicht so weit ist wie bspw. Gent, gibt es bereits die Grundstruktur für eine bessere Fahrradzukunft.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über europäische Fahrradselbsthilfe-Werkstätten.

Wer kocht denn hier Fahrräder? – Die Fietskeuken Gent

Gent steht etwas im Tourismus-Schatten der mittelalterlich-romantischen Nachbarstadt Brügge, hat aber ebenfalls ein gut erhaltenes Stadtzentrum, was fast vollständig mit dem Fahrrad befahren werden kann, trotz Kopfsteinpflaster. Entlang von Kanälen, unter Brücken hindurch, und auf breiten Fahrradstraßen kommt unweigerlich ein gewisses Amsterdam-Gefühl auf. Tatsächlich investiert die Stadt einiges an Geld und Mühen, um den Radverkehr zu fördern und um so zum belgischen Amsterdam zu werden. Das Zwischenergebnis lässt sich auf jeden Fall sehen, denn Radfahren macht hier Spaß. Das Fahrtempo und die gefühlte Fahrraddichte ist ähnlich hoch wie in der niederländischen Stadt — torkeln und ohne Signal abzubiegen kann man sich nicht lange erlauben.

Die Fietskeuken befindet sich, gefördert durch die Stadt Gent, in einer ehemaligen Möbelfabrik, die ähnlich wie das Kreativquartier in München durch verschiedene Gruppen genutzt wird. Die Geschichte ist etwas dunkel, aber seit ca. 2011 gibt es die Werkstatt. Offenbar besuchten die Gründer zu dieser Zeit Deutschland und lernten dort das Konzept einer Bikekitchen (vielleicht sogar der Münchner?) kennen. Zwischennutzungsbedingt sind sie noch ca. 3 Jahre an diesem Ort, und dann gehts wieder auf die Suche…

Im Rahmen des internationalen Botschafter-Programms der Fahrradselbsthilfe-Werkstätten zur Förderung der grenzüberschreitenden Solidarität und des quietschfreiens Fahrradverkehrs wurden auch Sticker ausgetauscht.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über europäische Fahrradselbsthilfe-Werkstätten.